Wirklichkeit und Visionen- Strategien für eine erfolgreiche Gleichstellungsarbeit

VISIONEN – WIRKLICHKEIT –– ÖFFENTLICHE WAHRNEHMUNG – DRAN BLEIBEN!

 

VERTEILUNG VON MACHT UND EINFLUSS

Die neue Bundesregierung steht und zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ist die Hälfte der Ministerposten mit Frauen besetzt. Genauso sieht es in den Führungsetagen aller Unternehmen, in den Kommunalvertretungen, an den Universitäten und Institutionen aus. Genderbudgeting ist seit Jahren eine Handlungsgrundlage des Bundesfinanzministeriums.

SOVIEL ZU DEN VISIONEN, JETZT ZU DER WIRKLICHKEIT:

Im Jahr 2001 wurde zwischen Bundesregierung und Spitzenverbänden der Wirtschaft eine freiwillige Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern getroffen.

Aber bis heute ist nur jedes zehnte Aufsichtsratsmitglied in Deutschland weiblich. In den Vorständen sieht es noch dramatischer aus: Hier sind nur drei von 100 Chefsesseln von Frauen besetzt. Norwegen und elf EU-Staaten haben gesetzliche Quotenregelungen, um qualifizierten Frauen den Zugang in die Top-Etagen der Wirtschaft zu erleichtern.

Spielt Gleichstellungspolitik in der Öffentlichkeit eine Rolle? Wir stellen fest: Frauen-und Gleichstellungspolitik ist ein Thema! Denn: Es wird gezählt! Wer hat welches Ressort in der Bundesregierung übernommen? Kann eine Mutter von sieben Kindern ohne vermeidliche Fachkompetenz als Verteidigungsministerin in dieses Amt bestehen? Finden Unternehmen geeignete Frauen für Aufsichtsratsposten? Was ist als Fachkompetenz eigentlich notwendig, um diese Posten auszufüllen? Wird anders in den Medien berichtet, wenn dies Frauen tun? Ist Kommunalpolitik nur ein spannender Job für ältere Männer? Was bedeutet das für die Entwicklungen der Kommunen als moderne Standorte und Lebensräume für jung und alt, Frauen und Männer, Migrantinnen und Migranten? Ist es eine Frage der Gerechtigkeit, der Qualität, der Fachlichkeit, der zeitlichen Verfügbarkeit oder doch nur der Seilschaften? Wer ist für die Quote und wenn ja, in welchem Kontext? Hilft die Quote? Schadet sie? Wie lange brauchen wir sie eigentlich?

Kommen wir von der medialen Aufmerksamkeit zu den Frauen selbst: wie sehen junge Frauen das Thema Gleichstellung von Frauen und Männern? Was können sie dazu beitragen, die Verteilung von Macht und Einfluss zu verändern? Die Repräsentative Studie des Allensbacher Instituts hat im Auftrag der Zeitschrift „EMMA“ Frauen befragt, wie sie den Stand der Gleichberechtigung bewerten. 54 Prozent der Frauen finden: „Es muss noch einiges getan werden, damit Mann und Frau gleichberechtigt sind.“ Dieser Wert ist seit einigen Jahren gestiegen. Er deutet darauf hin, dass die Sensibilität für Gleichstellungsthemen auch bei den Frauen gewachsen ist.

Die Studie „Frauen auf dem Sprung“ von Jutta Allmendinger für die Zeitschrift „Brigitte“ hat ebenfalls die Frauen im Blick und belegt: die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen ist bei Frauen gestiegen. Damit sind sie ein wichtiges Potential für eine veränderte Verteilung von Macht und Einfluss zwischen Frauen und Männern.

Wir stellen fest: es wird über Macht und Einfluss in Deutschland diskutiert. Gut für uns Frauen-und Gleichstellungsbeauftragte, die wir uns klar zum Pari-Pari in allen Bereichen positionieren!

Der Koalitionsvertrag verspricht einen Einstieg in das Thema: 30 Prozent Frauenanteil in Aufsichtsräten bei der Besetzung ab 2016, Einführung von selbstgewählten Zielquoten in Führungspositionen ab 2015 für Vorstände und obere Management-Ebenen. Darüber hinaus sollen Maßnahmen ergriffen werden, die die Förderung von Frauen in allen Betriebshierarchien zum Ziel haben. Aber: immer noch ist kein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft in Sicht! Für die im Einflussbereich des Bundes liegenden Unternehmen, Ministerien, Institutionen soll ein so genannter Gleichstellungsindex eingeführt werden. Instrumente hierzu sind das Bundesgleichstellungs- und das Bundesgremienbesetzungsgesetz. Und auch in der Wissenschaft sollen Quotenregelungen künftig dazu führen, dass 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt werden.

Weiterhin ist im Koalitionsvertrag ist weiterhin vereinbart, das Helene-Weber-Kolleg weiterzuführen. Dieses Kolleg -vielleicht wissen das nicht alle – organisiert als einziges Institut überparteiliche, bundesweite Mentoringprogramme für Kommunalpolitikerinnen. Seit 2013 pflegen wir – die BAG – einen Austausch mit dem Kolleg, um so ein besseres Image von Frauen-und Gleichstellungsbeauftragten in der Politik zu erreichen. Die aktiven Frauen des Helene-Weber-Kollegs werden weiterhin dafür werben, dass Frauen in der Kommunalpolitik aktiv sind. Aber an den bestehenden Seilschaften unter Männern – so bleibt zu befürchten -wird dies nicht viel ändern. Leider konnte sich die Koalition nicht auf ein Paritee-Gesetz einigen, wie es in Frankreich bereits existiert.

Und: was heißt das für uns Frauen-und Gleichstellungsbeauftragte in den Kommunen? Für die Landesgleichstellungsgesetze, die zurzeit in Arbeit sind? Kann es noch Landesgleichstellungsgesetze geben, die keine klaren Vorgaben zur Quotierung von Aufsichtsgremien oder die Quotierung von Führungspositionen beinhalten? Wir denken: Wenn Quoten für Aufsichtsräte verabschiedet werden, können die Aufsichtsräte kommunaler Unternehmen nicht ohne Quotenregelungen bleiben. Es wird auch hier Zeit für einheitliche Lösungen zum Umgang mit Quoten für Gremien und Führungspositionen über Ländergrenzen hinweg!

Über gute Lösungen für die Steigerung des Frauenanteils in Führungspositionen und Gremien haben wir bei einem gemeinsamen Workshop der BAG, der Landesarbeitsgemeinschaften und der Vernetzungsstelle für Gleichberechtigung in Hannover gesprochen. Die Ergebnisse des Workshops liegen vor, die Vernetzungsstelle erarbeitet zur Zeit für uns ein Muster-Landesgleichstellungsgesetz, was sicher für die Landesarbeitsgemeinschaften hilfreich sein kann.

Und auch unsere Befragung der Kolleginnen in der Broschüre „Zur Situation der Gleichstellungs-und Frauenbeauftragten – eine Diskussionsgrundlage“ macht deutlich: in den Kommunen nützt ein Landesgleichstellungsgesetz mit Quotenregelungen, dass keine Sanktions-oder Bonussysteme beinhaltet, für die Arbeit vor Ort nicht. Ein Großteil der befragten Kolleginnen wünscht sich Sanktionsmöglichkeiten bei der Nichteinhaltung von Vorgaben aus den Landesgleichstellungsgesetzen.

Wir wollen

  1. 1. Mehr Frauen in Führungspositionen
  2. 2. Ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft

 

EXISTENZSICHERNDE ERWERBSARBEIT FÜR EIN AUSKÖMMLICHES LEBEN

Liebe Kolleginnen, Männer und Frauen teilen sich die Hausarbeit gerecht und haben so beide mehr Zeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Mütter und Väter verbringen gleich viel Zeit mit den Kindern und können beide eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen. Alleinerziehende erhalten eine besondere Unterstützung durch Arbeitgeber, werden steuerlich begünstigt und haben genügend Geld zur Verfügung. Außerdem wird ihre „Doppelbelastung“ durch eine zusätzliche Rente ausgeglichen. Väter müssen nicht mehr darum kämpfen in Elternzeit zu gehen und Mütter müssen sich nicht mehr in Teilzeitjobs drängen lassen. Durch das neue Familienmodell und eine gute Betreuung ist für die Kinder gesorgt. Männer und Frauen teilen sich die Pflege ihrer alten oder kranken Familienangehörigen. Frauen und Männer bekommen für die gleiche Arbeit das gleiche Geld, Altersarmut von Frauen gibt es nicht mehr, genauso wenig wie einen Mangel an Fachkräften. Das Geld im Staatshaushalt wird gleichermaßen für Frauen-und Männerbedürfnisse ausgegeben.

SOVIEL ZU DEN VISIONEN, JETZT ZU DER WIRKLICHKEIT:

Eine konsistente Gleichstellungspolitik soll aus Sicht der BAG helfen, einengende Geschlechterrollen zu überwinden. Die Einführung eines Betreuungsgeldes und die Anhebung der Verdienstgrenzen in der geringfügigen Beschäftigung (Minijobs) machen deutlich, dass das Plädoyer der Sachverständigenkommission für den Ersten Gleichstellungsbericht bislang noch nicht angekommen ist. Im Gegenteil: es werden neue Fehlanreize gesetzt, die zu Lasten von Frauen gehen.

Wir alle wissen es: Chancengleichheit von Frauen und Männern setzt voraus, dass in Zukunft derlei Fehlanreize unterbleiben. Nur dann können Frauen an allen Übergängen des Lebens frei über ihren Lebensweg entscheiden. Mit 70 Prozent ist der Frauenanteil im Niedriglohnsektor überdurchschnittlich hoch. Fast 5 Millionen Frauen arbeiten im Minijob, das Gros von ihnen ausschließlich in geringfügiger Beschäftigung. Doch schlechte Entlohnung ist auch in regulärer Beschäftigung für viele Frauen Realität. Noch immer beträgt die geschlechtsspezifische Lohnlücke zwischen Frauen und Männern 22 Prozent.

Das Armutsrisiko von Kindern Alleinerziehender ist in Deutschland fast dreimal so hoch wie das von Kindern, die in Paarfamilien aufwachsen. Altersarmut ist das kumulierte Risiko typischer Erwerbsbiografien von Frauen. Der Gender Pension Gap – die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern – beträgt fast 60 Prozent und verheiratete Frauen erhalten mit Abstand die niedrigsten Renten. Im Vergleich von Frauen und Männern mit und ohne Kinder erweisen sich Mütter als die Personengruppe, deren Erwerbsbeteiligung in allen Altersgruppen am niedrigsten ausfällt. Väter sind dagegen die Personengruppe mit der durchweg höchsten Beteiligung.

Seit mehr als sechs Jahren ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat hierbei die Aufgabe, dem Gesetz zur Durchsetzung zu verhelfen. Bisher liegt es in der Verantwortung einzelner Beschäftigter, das Risiko einer Diskriminierungsklage gegen den Arbeitgeber einzugehen. Viele scheuen dieses Risiko – aus Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder sich beruflich nicht weiterentwickeln zu können.

Aber – und auch das ist positiv -auch in der öffentlichen Diskussion um existenzsichernde Erwerbstätigkeit kommen Frauen mittlerweile vor. Bei der Diskussion um den Mindestlohn im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen wurden gerade Beispiele von typischen Frauenarbeitsplätzen, wie Friseurin oder Altenpflegerin thematisiert. Leider damit für Frauen noch längst nicht alles erreicht. Gerade das Zusammenspiel von traditionellen Rollenstereotypen, der geringen Bewertung sogenannter weiblicher Tätigkeiten, dem Ehegattensplitting und der Verdrängung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmöglichkeiten durch die Verstärkung von Minijobs wurde und wird immer noch öffentlich viel zu wenig betrachtet. Durch die Nation geht kein Aufschrei, wenn es heißt: Frauen erhalten im Alter im Schnitt fast 60 Prozent weniger Geld als Männer!

Doch es gibt auch Lichtblicke im Koalitionsvertrag: Ein flächendeckender Mindestlohn – leider erst ab 2017 - den Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit mit Rückkehrrecht in Vollzeit und eine Arbeitsförderung, die stärker an den Bedürfnissen von Frauen und ihren häufig unterbrochenen Erwerbsbiografien ausgerichtet ist. Des Weiteren heißt es im Koalitionsvertrag: „Um das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ besser zur Geltung zu bringen, wollen wir mehr Transparenz herstellen.“ Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sollen zur Frauenförderung und Entgeltgleichheit Stellung nehmen. Gleichzeitig sollen Arbeitnehmerinnen individuell ihren Auskunftsanspruch geltend machen können. Und: Betriebe sollen selbst festgestellte Entgeltdiskriminierungen beseitigen. Das hört sich noch nicht nach einem Entgeltgleichheitsgesetz an, aber wir werden sehen...

Das Ehegattensplitting wird nicht abgeschafft. Auch die Sozialversicherungspflicht ab dem Ersten Euro oder die Abschaffung der Minijobs sind nicht geplant. Zum Thema „Gender Pension Gap“ ist lediglich die sogenannte „Mütter Rente“ auf den Weg gebracht worden. Hier haben Frauen gut verhandelt.

Wir wollen

  1. 1. Einkommensgerechtigkeit ein Leben lang -auch bei der Rente -für Frauen und Männer
  2. 2. Sozialversicherungspflicht ab dem ersten Euro

 

FÜR EIN GEWALTFREIES LEBEN

Liebe Kolleginnen, Frauenhäuser und Beratungsstellen für Betroffene von sexualisierter und häuslicher Gewalt können geschlossen werden, weil es keinen Bedarf mehr dafür gibt. In der Werbung wird für eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Frauen und Männern geworben.

Respekt und Wertschätzung für unterschiedlichste Lebensmodelle stehen in der Berichterstattung der Medien im Vordergrund. Viele Männer haben sich im Netzwerk gegen Herrenwitze zusammen geschlossen.

SOVIEL ZU DEN VISIONEN, JETZT ZU DER WIRKLICHKEIT:

Die aktuelle Bestandsaufnahme zur Situation der Frauenhäuser hat ergeben, dass rund 9.000 von Gewalt betroffene Frauen keine Zuflucht in einem Frauenhaus oder einer Schutzwohnung fanden. Das ist hauptsächlich dem derzeitig uneinheitlichen Finanzierungssystem geschuldet. Es kann die Finanzierung der Frauenhäuser allenfalls begrenzt sicherstellen. Frauen mit psychischen Erkrankungen und drogenabhängige Frauen, sowie Frauen mit Handicap haben oft keinen Zugang zu Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen. Die frauenspezifische Infrastruktur ist nicht entsprechend hierauf ausgerichtet.

In einer Gesellschaft in der Frauen weniger verdienen als Männer und wo „Sex sells“, gedeiht der alltägliche Sexismus und die Diskriminierung von Frauen. Sie sind weniger in der Öffentlichkeit präsent und haben unterschiedlichen Einfluss auf das Geschehen in der Welt. Die Aktion „Aufschrei“ genau vor einem Jahr, bei der viele junge Frauen Position bezogen haben, hat deutlich gemacht: Für die Mehrheit von Frauen ist Sexismus und sind Übergriffe Alltag. Was muss sich ändern, damit dieser „Aufschrei“ nicht mehr nötig ist? Die Antwort: keine Herrenwitze mehr, Aufbrechen des Old-Boys-Network, die Entwicklung einer Konsens-Kultur: es gibt keine Berechtigung für Übergriffe.

Auch die GFMK hat im letzten Jahr hierzu Stellung bezogen. Zitat aus dem Beschluss der GFMK aus dem letzten Jahr zu diesem Thema: „Frauen, von denen viele nach eigener Aussage die Geschlechter-und Gleichstellungsfrage bislang als „weitestgehend gelöst“ empfunden haben, fordern eine neue Kultur im Umgang der Geschlechter.“ Als mögliche Veränderungswege sieht die GFMK die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen im Erwerbsleben und die Erhöhung des Anteils von Frauen in Führungspositionen. Damit bestünde die Möglichkeit der Veränderung von Unternehmenskulturen. Auch die GFMK ist der Ansicht, dass ein grundsätzliches Umdenken in unserer Gesellschaft erfolgen muss.

Gefordert wird von der neuen Bundesregierung die Recherche der bisherigen Forschungsergebnisse und aufbauend darauf die Entwicklung von Vorschlägen für das weitere Vorgehen gegen Sexismus. Dieser Forderung schließen wir uns nachdrücklich an.

Das Hilfetelefon für von Gewalt betroffene Frauen soll dafür sorgen, dass mehr Frauen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Es verweist auf Beratungsstrukturen vor Ort, die sich der Frauen, ihrem Schutz und der Prävention von Gewalt annehmen. Diese Infrastruktur in den Bundesländern und Kommunen ist jedoch unterschiedlich gut finanziell abgesichert. Hier zu einer flächendeckenden guten Versorgung zu kommen, ist eine Herausforderung für die nächste Bundesregierung. Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir werden Ressortübergreifend Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Kinder und Frauen bündeln und Lücken im Hilfesystem schließen.“ Das werden wir als Gleichstellungs-und Frauenbeauftragte vor Ort gerne aktiv begleiten!

In den Wahlprüfsteinen der BAG zur Bundestagswahl haben wir danach gefragt, welche Vorstellungen die Parteien zu Ansätzen der Täterarbeit haben. Wir sind der Auffassung, dass der Schutz von Frauen gegen Gewalt in der Partnerschaft nur durch eine begleitende Täterarbeit sinnvoll und zielführend ist.

Kurz vor der der Bundestagswahl ist das Thema „Prostitution“ auf der Agenda erschienen. Der Appell der EMMA hat viel Unterstützung aber auch viel Gegenwind ausgelöst. Wir haben bereits auf der letzten Bundeskonferenz in Düsseldorf einen Beschluss zur Regulierung der Prostitution beschlossen. Hierin wird deutlich, dass es uns um gute Arbeitsbedingungen und die Vermeidung von Ausbeutung von Prostituierten geht. Der Appell der EMMA hat eine neue Diskussion über den Umgang mit Prostitution und Prostituierten angestoßen, die wir richtig finden. Wir wünschen uns eine europaweite Diskussion auf Initiative des BMFSFJ über unterschiedliche Konzepte zum Umgang mit dem Thema. Hierbei ist es uns besonders wichtig, nicht über, sondern mit den Frauen und ihren unterschiedlichen Organisationen zu sprechen. Aber es gibt einen weiteren Aspekt, den wir an dieser Stelle aufgreifen möchten: Die Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel ist nur mit einem gesicherten Aufenthaltsrecht der Opfer möglich. In öffentlichen Debatten zur Prostitution ist dies nicht immer deutlich geworden. Im Koalitionsvertrag steht hierzu: „Für die Opfer werden wir unter Berücksichtigung ihres Beitrags zur Aufklärung, ihrer Mitwirkung im Strafverfahren sowie ihrer persönlichen Situation das Aufenthaltsrecht verbessern sowie eine intensive Unterstützung, Betreuung und Beratung gewährleisten.“ Wichtig scheint uns hierbei, darauf zu achten, was es konkret heißt, wenn gleichzeitig einschränkend gesagt wird: Zitat „unter Berücksichtigung ihres Beitrages zur Aufklärung“.

Wir wollen

  1. 1. Eine flächendeckende Infrastruktur zur Beratung und Unterstützung von Frauen in Gewaltsituationen
  2. 2. Als einen Aspekt von Opferschutz und Prävention umfassende Angebote zur Täterarbeit

 

KONSISTENTE GLEICHSTELLUNGSPOLITIK FÜR FRAUEN UND MÄNNER

Liebe Kolleginnen, jetzt geht es um uns. Die kommunalen Frauen-und Gleichstellungsbeauftragten haben super dotierte Stellen Sie haben einen ganzen Stab von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einen Etat von mehreren Hunderttausend Euro. Die politischen Vertreterinnen und Vertreter haben erkannt, dass es sich lohnt in Gleichstellungspolitik zu investieren. Bei allen planerischen Entscheidungen werden sie gefragt, kein Platz wird gebaut, keine Straße benannt, keine Personalentscheidung getroffen, ohne dass die Gleichstellungsbeauftragte beteiligt wird. Sie genießen ein ähnlich hohes Ansehen wie ein Dezernent oder eine Oberbürgermeisterin. Falls sich doch eine Kommune traut, ihrer Gleichstellungspolitik keinen angemessenen Raum zu geben, greifen Landesbehörden konsequent ein.

SOVIEL ZU DEN VISIONEN, JETZT ZU DER WIRKLICHKEIT:

Eine konsistente Gleichstellungspolitik hat Ressourcen für beide Geschlechter im Blick. Hierbei helfen hauptamtliche Strukturen in Ministerien, Behörden und Kommunen. Wir favorisieren eine professionelle, mit Frauen und Männern besetzte Gleichstellungsarbeit. Wir sprechen uns gegen ein „Entweder – oder“ aus und wünschen uns ein „Sowohl – als auch“.

Eine konsistente Gleichstellungsarbeit hat Strategien für die Überwindung einengender Geschlechterrollen im Blick. Wir wünschen uns eine Politik, die nicht „für alle das Gleiche, sondern für jede und jeden das Richtige“ in den Mittelpunkt stellt.

In unserer Broschüre „Zur Situation kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen: eine Diskussionsgrundlage“ haben wir festgestellt: Wir sind oftmals mit unseren Gestaltungsmöglichkeiten zufrieden – aber es mangelt an Ressourcen sowohl in finanzieller als auch in personeller Hinsicht. Wir haben festgestellt: Wir erhalten viel Anerkennung durch die Bevölkerung und durch die Fraueninfrastruktur – aber nicht ausreichend durch die Politik und den Rat.

Wir haben festgestellt: Wir agieren überwiegend sowohl intern im Rahmen der Personalpolitik als auch extern im Rahmen von Frauenförderung und Gender Mainstreaming. Dabei sind wir eine wichtige Anlaufstelle für die Verwaltung und die Bevölkerung. Wir agieren in vielfältigen, oftmals innovativen Themenfeldern und tragen damit zur Qualitätsverbesserung der kommunalen Strukturen und Dienstleistungen bei. Wir haben festgestellt: Die Anforderungen an uns sind hoch, wir haben vielfältige Aufträge – und eine Vielzahl von uns arbeitet in Teilzeit. Wir verfügen oftmals über eine lange Berufserfahrung und Qualifikationen, die ein Studium voraussetzen. Dies spiegelt sich häufig aber nicht in unserer Bezahlung wieder.

WIR HABEN FESTGESTELLT: ES GIBT OPTIMIERUNGSPOTENTIAL IN MEHRFACHER  HINSICHT!

Eine Regelung in der Ressourcenfrage ist geboten. Wir schlagen eine volle Stelle je 10.000 Einwohner/innen vor. Des Weiteren kann konsistente Frauen und Gleichstellungsarbeit nur in Hauptamtlichkeit und mit entsprechender Eingruppierung erfolgen. Dazu ist ein einheitliches Berufsbild mit einer Qualifikationsbeschreibung notwendig. Netzwerkarbeit -als ein Teil der Bündelung von Ressourcen -braucht finanzielle und personelle Möglichkeiten.

Wir schlagen darüber hinaus mit Politik und Verwaltung abgestimmte verbindliche Rahmenpläne vor, die den strategischen Ansatz der Arbeit in den Vordergrund rücken. Durch eine erhöhte Unterstützung und Anerkennung durch Verwaltung und Politik wäre die Gleichstellungsarbeit besser aufgestellt. Unsere rechtzeitige Einbindung würde es ermöglichen, mehr Qualität in kommunale Strukturen zu tragen.

Die Ansiedlung der Stelle entscheidet über die Ausübung unserer Querschnitts-, Controlling und Initiativfunktion. Der direkte Kontakt zur Verwaltungsspitze gepaart mit Sanktions-oder Boni-Systemen ist hierfür unerlässlich.

Die Landesgleichstellungsgesetze können ihren Beitrag zur Veränderung der Gleichstellungspolitik in Deutschland leisten. Sie können deutlich machen: wir wollen eine konsistente Gleichstellungspolitik nicht nur auf Bundes-und Landesebene, sondern auch auf kommunaler Ebene. Dort, wo die Menschen am ehesten spüren, ob und wie Gleichstellungspolitik wirksam wird!

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in ihrer Veröffentlichung „Gleichstellung braucht starke Standards“ deutlich gemacht: Nach Artikel 3 Grundgesetz ist die Kommune verpflichtet eine aktive Rolle in der Herstellung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu spielen. Es wird vorgeschlagen, Kommunen zu verpflichten, gleichstellungspolitische Rahmenpläne aufzustellen, in denen sowohl Ziele und Maßnahmen, als auch Zuständigkeiten festgelegt sind.

Nun zu uns: Wir sind dabei, unseren Visionen ein Stück näher zu kommen. Sowohl die Themen dieser Bundeskonferenz als auch unser sogenanntes „Transferprojekt“, beide dankenswerterweise mit Mitteln des BMFSFJ ermöglicht, sind Schritte auf dem Weg dorthin.

Wir träumen davon: genügend Geld, Zeit, Personal und Unterstützung zu haben, um all die guten Ideen zur Gleichstellung umsetzen zu können. Wir träumen von Pari-Pari, mehr Zeit für Familie, ein gutes Ein-und Auskommen und gewaltfreie Partnerschaften. Diese Träume können nur Wirklichkeit werden durch das gemeinsame Engagement von uns Gleichstellungs-und Frauenbeauftragten und auch von Männergruppen, Politik, Medien und Unternehmen, die nicht länger ertragen können, dass die Hälfte der Gesellschaft schon seit Jahrhunderten nicht die gleichen Chancen bekommt.

Damit kommen endlich dann alle im 21. Jahrhundert an!

Vielen Dank!

Roswitha Bocklage (Gleichstellungsbeauftragte Stadt Wuppertal, Petra Borrmann (Gleichstellungsbeauftragte Stadt Delmenhorst) , Heidrun Dräger (Landkreis Ludwigslust-Parchim)