„Wir müssen emanzipatorische Ansätze immer wieder auf´s Neue verteidigen!“

sagt Reinhard Naumann, Bezirksbürgermeister Charlottenburg-Wilmersdorf.

Der Bezirk wurde für den Gender Award 2018 nominiert, gehörte aber letztendlich nicht zu den ersten drei Preisträgern.

 

BAG: Was hat für Sie als Bezirksbürgermeister die Nominierung zum Gender Award bedeutet?

Reinhard Naumann: Das war eine freudige Überraschung und natürlich habe ich das als Wertschätzung unserer Arbeit empfunden. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung haben sich sehr gefreut. Vor allem im Gleichstellungsausschuss waren alle sehr gespannt, was herauskommt.

BAG: Warum hat sich Ihr Bezirk beworben?

Aus gesundem Selbstbewusstsein, denn wir machen schon ganz lange gute Arbeit in Sachen Gleichstellung. Und Charlottenburg Wilmersdorf hat viele starke Frauen. Über viele Jahre wurde erst Charlottenburg und dann nach der Zusammenführung der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von Frauen regiert, nämlich von Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel von 1989 – 2000 und dann von Monika Thiemen von 2001 – 2011. Unser Bezirk ist geprägt von vielen starken Frauen. Dazu gehört auch unsere ehemalige Frauenbeauftragte Christine Rabe. Damals war der Fokus auf Frauen, darauf hat die Kollegin auch sehr viel Wert gelegt. Inzwischen haben wir eher das Thema Gender und Gleichstellung. Die Gleichstellungsbeauftragte ist mir direkt zugeordnet und wir haben einen regelmäßigen Austausch. Mehrmals im Monat treffen wir uns, besprechen Strategien, Veranstaltungen, reden über Arbeitsplanungen und Zielsetzungen. Mit der pensionierten Frauenbeauftragten hat sich Charlottenburg Wilmersdorf immer als frauenpolitische Speerspitze verstanden. Jetzt schauen wir zunehmend auch auf die Männer, denn da gibt es einen großen Nachholbedarf, etwa im Sozialbereich, in Kitas und Grundschulen, der ja weitgehend männerfrei ist. Ziemlich früh war mir klar, dass es nicht nur einen „Girlsday“ sondern auch einen „Boysday“ in Charlottenburg Wilmersdorf geben muss.

BAG: Glauben Sie, dass so ein Preis auch für Bezirke wichtig ist, wenn ja, warum?

Auf jeden Fall, unser Bezirk hat 340.000 Einwohner und ist damit größer als viele Städte. Wir sind eben auch Kommune und sollten als Bezirke unsere Stärke zeigen.

BAG: Worin sehen Sie die Herausforderungen, Gleichstellung im Bezirk weiterzuentwickeln?

Natürlich haben wir Ungerechtigkeiten in Bezug auf Frauen weiter im Blick, deshalb beteiligen wir uns zum Beispiel ja auch am „Equal Pay Day“. Aber wir müssen auch sehen, dass es eine Dominanz von Frauenthemen in der Gleichstellung gibt. Da müssen wir sensibel sein, dass auch Männer mit ihren Themen und Problemen gesehen werden. Ich denke da an gezielte Jungenarbeit und die Arbeit an männlichen Rollenbildern.

BAG: Welche neuen Ansätze, Projekte, Instrumente sind in Planung?

Wir machen spezielle Projekte für Geflüchtete, da geht es um Frauen und Gleichstellung und auch um Willkommenskultur. Wir bauen dafür ein Integrationsbüro mit acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf. Außerdem gehört zu unserer Gleichstellungsarbeit auch LGBT und unsere Gleichstellungsbeauftragte ist auch für diesen Bereich zuständig.

BAG: Welche Stolperfallen, welche Hürden sehen Sie in Bezug auf Gleichstellung?

Männliche Ignoranz, patriarchales Verhalten aber auch eine ideologisch verengte frauenpolitische Perspektive, Mangel von Männern in klassischen Frauenberufen und umgekehrt. Aber ich stelle auch fest, dass trotz allem „Empowerments“ für Frauen in Führung der Erfolg mäßig ist, Frauen bewerben sich nicht auf Führungspositionen, obwohl sie alle Voraussetzungen mitbringen, scheuen sie die Verantwortung, trauen sich die Aufgabe nicht zu, im Gegensatz von auch schlechter qualifizierten Kollegen. Ich weiß nicht, welche Gründe da eine Rolle spielen. Oft fehlt das Selbstbewusstsein oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie lastet ausschließlich auf der Frau. Oder sie fühlt sich als Rabenmutter. Ich sehe aber auch, dass männliche Vorgesetzte sensibilisiert werden müssen, Frauen zu fördern- auch indem Männer motiviert werden, Elternzeit zu nehmen. Und wir versuchen natürlich Frauen zu stärken. Zum Beispiel haben wir das Programm „Kompetenz plus“, wo Mitarbeiterinnen gezielt aufgebaut werden, Kompetenzen für die Personalführung zu erlangen. Und trotzdem haben wir immer noch weniger Frauen, die sich bewerben.

BAG: Gibt es etwas, was Sie in Bezug auf das Thema Gleichstellung ärgert?

Zum Beispiel ideologische Kämpfe um Begrifflichkeiten oder wenn Gleichstellung nur mit der Beseitigung der Nachteile von Frauen verbunden wird. Es geht ja auch darum Nachteile für Männer zu bekämpfen und sie zu fördern in Bezug auf neue Geschlechterrollen und verantwortliche Vaterschaft. Die „alte“ Frauenbewegung hat vieles radikal überspitzt, das war auch wichtig in dieser Zeit, aber jetzt bringen uns Scheuklappen und ideologische Frauenkämpfe nicht weiter. Die Mischung macht´s.

BAG: Welche Entwicklungen bereiten Ihnen Sorgen?

Das Rollback, dass vor allem durch die AFD und konservative Kreise der CDU/CSU betrieben wird, dass zum Beispiel Frauen auf ein ganz bestimmtes Rollenbild reduziert werden und dementsprechend auch die Rollen von Männern definiert.

BAG: Glauben Sie, dass die Gleichstellung für die Zukunft in den Bezirken wichtig ist?

Ja natürlich. Mein Ziel ist es, dass Frauen in allen Ebenen genauso repräsentiert sind, wie Männer. Deshalb wollen wir den Frauenförderplan auch weiterentwickeln und mittelfristig einen Gleichstellungsplan erstellen. Für mich als Rathauschef geht es zum Beispiel darum, auf Sprache zu achten. Oft redigiere ich Texte auch von Frauen, die nur die männliche Ansprache oder Form wählen. Ich möchte eine weibliche Sprache. Und ich möchte auch dass Gleichstellung nicht nur als die Gleichstellung von Männern und Frauen umfasst, sondern den gesamten Bereich des LGBT.

BAG: Bitte vervollständigen Sie den Satz: Gleichstellung ist wichtig, weil...

gleichberechtigte Präsenz und Teilhabe ein wichtiger gesellschaftlicher Mehrwert ist. Weil: die Mischung macht´s, Frauen ticken halt anders als Männer und umgekehrt; wir brauchen Beides.

BAG: Wo sehen sie die Herausforderung, Gleichstellung in Ihrem Bezirk weiterzuentwickeln?

Man muss das Thema immer wieder auf die politische Agenda setzen. Erreichtes ist nicht selbstverständlich, sondern in Gefahr. Wir müssen emanzipatorische Ansätze immer wieder auf´s Neue verteidigen

BAG: Sie gehörten letztendlich nicht zu den drei Gewinnern des Gender Award, war die Enttäuschung groß?

Wir hätten uns natürlich über einen Award gefreut, aber wahrscheinlich konnten wir als Bezirk gar nicht gewinnen. Für uns sind die Kriterien des Awards schwierig. Zum Beispiel gab es keine Kategorien nach der Größe einer Stadt. Wir mussten also mit Städten konkurrieren, die einen viel größeren Etat für Gleichstellung haben. Trotzdem haben wir diesmal teilgenommen. Wenn wir nicht das Gefühl gehabt hätten eine reale Chance zu haben, dann hätten wir uns nicht beworben. Aber wenn die Kriterien so bleiben, würden wir uns nicht noch einmal bewerben. Es sollte beim nächsten Mal Kategorien geben, das ist auch eine Frage der Wertschätzung des gleichstellungspolitischen Engagements von kleinen Städten und Gemeinden.