Vortrag: Corona ist eine Krise der Frauen

Die Taz-Journalistin Patricia Hecht hielt den folgenden Vortrag auf dem Strategietag der BAG am 26.10.2020.

 

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Frauen und Gleichstellung

Seit Mitte März haben wohl alle von uns, die heute digital hier sind – und viele auch am eigenen Leben – festgestellt: Corona ist eine Krise der Frauen. Die Vereinten Nationen haben das sehr früh so formuliert, auch wenn diese Erkenntnis bis heute nicht substantiell in der Politik oder der gesellschaftlichen Debatte angekommen ist.

Darum aber soll es heute gehen. Ich würde den Input in drei Teile gliedern:

Ich fange bei der Tatsache an sich an – Corona ist eine Krise der Frauen – und der Frage, welche Frauen inwiefern betroffen sind. Dann geht es zur Frage, was daraus folgt. Und schließlich gibt es zumindest einen kleinen Ausblick, wohin es gehen könnte. Ich konzentriere mich dabei weitgehend auf die bundesdeutsche Perspektive, weil Frauen zwar global betroffen sind, das inhaltlich aber doch den Rahmen sprengen würde.

Einige Beispiele zunächst für die Frage, inwiefern Frauen von Corona betroffen sind:

Corona betrifft zum Beispiel die bezahlte Pflege, was mittlerweile wohl tatsächlich alle mitbekommen haben. 80 Prozent der Pflegekräfte in Krankenhäusern sind Frauen, die dort in der ersten Reihe der Krise arbeiten – natürlich mit dem entsprechenden Risiko, sich zu infizieren.

Das betrifft die Supermärkte, in denen vor allem Frauen arbeiten. Auch hier haben Frauen keine Chance auf Homeoffice, sondern begegnen den Kunden und Kundinnen direkt und müssen entsprechend einiges aushalten. Im Einzelhandel ist der Frauenanteil in etwa doppelt so hoch wie der Anteil von Männern.

Dazu kommt die Tatsache, dass, wie die Universität Berkeley herausgefunden hat, Männer ihre Masken weniger tragen als Frauen – weil sie es als Zeichen von Schwäche empfinden. Während also die Frauen in der ersten Risikoreihe feststecken, erhöhen Männer eher das Risiko, sich anzustecken. Das ist jetzt sehr pauschal formuliert, aber fragile Männlichkeit in der Krise ist ein grundsätzlich beachtenswerter Punkt. Dazu später mehr.

Corona betrifft Care: Anfangs ist oft von einem „Rollback“ gesprochen worden, was Geschlechterrollen in der Krise angeht. Das wurde dann zum Teil etwas relativiert, weil eine Studie herauskam, die besagt, dass Männer in Sachen Care zumindest prozentual aufholen. Aber sie starten eben auch von einem ganz anderen Niveau aus, also einem deutlich niedrigeren.

Das betrifft Alleinerziehende, von denen sowieso die weit überwiegende Mehrheit Frauen sind, und für die die Welt während Corona oft völlig aus den Fugen geraten ist – was den Arbeitsmarkt angeht, was Homeschooling angeht, was Kinderbetreuung angeht. Und oft auch, was soziale Netze angeht, Großeltern zum Beispiel.

Es betrifft die Wissenschaft, in der Mütter in den Anfangsmonaten von Corona weniger, Väter in vergleichbaren Positionen dafür um 25 Prozent mehr publiziert haben. Das war auch daran gut zu sehen, wer die großen Corona-Erklärer sind: Bis auf wenige Ausnahmen wie hierzulande zum Beispiel Mai Thi Nguyen, die gerade das Bundesverdienstkreuz bekommen hat, sind das vor allem Männer.

Es geht um Frauen, die von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen sind. In diesem Bereich ist von einer „Schattenpandemie“ die Rede, die mit Zahlen kaum zu fassen sein wird, weil Gewalt oft im Verborgenen bleibt. Frauenhäuser, die auch in pandemiefreien Zeiten am Limit fahren, waren und sind oft so massiv überlastet, dass es mir als Journalistin zum Teil nicht mehr möglich war, mit ihnen zu sprechen. Sie hatten dafür schlicht keine Zeit.

Es betrifft geflüchtete Frauen, die, auch wenn sie hier erst einmal angekommen sind, in Sammelunterkünften oft vor schwierigen Bedingungen stehen – sei es Informationspolitik, sei es Gewaltschutz, sei es Hygiene.

Es betrifft die Sexarbeitenden, von denen viele mit am härtesten getroffen wurden, weil sie monatelang vor ein vollständiges Berufsverbot gestellt waren und weil manche nicht mal Grundsicherung beantragen konnten.

Und es betrifft Frauen, die ungewollt schwanger sind: nicht alle Krankenhäuser in Deutschland haben Schwangerschaftsabbrüche als medizinisch notwendige Leistung während Corona anerkannt – obwohl es in der Krise sehr wahrscheinlich mehr ungewollte Schwangerschaften gibt als sonst.

Das zur Frage, wer betroffen ist – und das alles ist immer noch nur ein kursorischer Überblick.

 

Dann komme ich zum zweiten Punkt: Was folgt daraus?

Klar wird, dass die Situation für viele Frauen sehr verschieden ist. Es macht einen großen Unterschied, ob ich Single bin, ob ich geflüchtet bin, ob ich mit Kindern in einer Eigentumswohnung lebe, ob ich in der Stadt, möglicherweise mitten in Berlin Neukölln, oder auf dem Land lebe, ob ich alleinerziehend mit einem Job an der Kasse bin, ob ich Risikopatientin bin. Und es ist eine Herausforderung, die verschiedenen Situationen von Frauen während Corona zusammen zu denken und solidarisch miteinander zu sein.

Klar wird auch, dass Frauen diejenigen sind, die die Gesellschaft tragen und zusammen halten – aber eben nur zu einem extrem hohen Preis. Die sogenannte Systemrelevanz hat sich überhaupt nicht in der Art und Weise niedergeschlagen, wie Anerkennung, Unterstützung und angemessener Lohn verteilt werden.

Das passiert unter anderem deshalb, weil Frauen nicht paritätisch in Politik und Entscheidungsgremien einbezogen sind. Das wurde auch an den Empfehlungen der Wissenschaftlichen Akademie Leopoldina zum Umgang mit Corona deutlich, in deren Arbeitsgruppe das Durchschnittsalter bei über 60 Jahren lag und in der von 26 Mitgliedern nur zwei Frauen waren. Das hat konkrete Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Politik gemacht wird – aber es ist gleichzeitig rückgekoppelt an strukturelle Probleme, also zum Beispiel an die Frage, wer überhaupt Zeit hat, an dieser Arbeitsgruppe teilzunehmen.

An dieser Stelle doch ein internationaler Hinweis: Die Länder, in denen Frauen Regierungschefinnen sind, sind deutlich besser durch die Krise gekommen als diejenigen, in denen Männer den Posten besetzen. Das ist keine anekdotische Feststellung, sondern eine Zusammenfassung verschiedener Studien durch die Universitäten Liverpool und Reading, die 19 weiblich regierte Länder mit 174 männlich regierten Ländern verglichen haben. Wegen der geringen weiblichen Fallzahl wurden jeweils die nächsten Nachbarn ins Verhältnis gesetzt, was etwa Bruttoinlandsprodukt, Altersschnitt oder Stadt-Land-Bevölkerung angeht – also zum Beispiel Neuseeland und Irland oder Deutschland und Großbritannien. Das Ergebnis: Der weiblich geprägte Politikstil war weniger risikoaffin, dafür kommunikativer und partizipativer. Und das schlug sich ganz konkret in der geringeren Anzahl derjenigen nieder, die an Corona gestorben sind. Das erinnert dann auch wieder frappierend an die Tatsache, dass Männer ihre Masken so ungern tragen.

Zurück zur Frage, was daraus folgt. Auch, weil Frauen nicht paritätisch in Entscheidungsfindungen einbezogen sind, sind die bisherigen Hilfspakete weitestgehend ohne geschlechterpolitische Perspektive ausgekommen. Sie machen unsichtbar, welche unterschiedlichen Lebensrealitäten für Mädchen und Frauen generell und insbesondere momentan herrschen. Was exemplarisch am Konjunkturpaket zu sehen war, das die Dimension Geschlecht schlicht nicht berücksichtigte, auch wenn das Familienministerium das gern anders darstellen wollte.

Und schließlich folgt auch daraus: Weil wesentlich mehr Frauen als Männer während Corona ihre Arbeitsplätze verlieren (zum Beispiel weil sie alleinerziehend sind und einfach nicht mehr hinterher kommen), oder weil sie  zurück stecken, da sie sich in der Paarbeziehung mehr um die Kinder kümmern oder sowieso schon die schlechter bezahlten Jobs haben, oder weil sie wie mehr als die Hälfte aller lohnarbeitenden Frauen einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen – aus all diesen Gründen vergrößert sich langfristig auch die Gehaltslücke durch Corona und die Altersarmut nimmt zu.

 

Und dann käme drittens die Frage, wohin uns das alles führt.

Es wäre natürlich schön, wenn ich einen positiven und gut gelaunten Ausblick geben könnte. Aber leider ist die momentane Perspektive nicht allzu rosig.

Der Herbst ist da, die Fallzahlen steigen. Und vieles, was über den Sommer zumindest gedämpfter war oder auch nur gedämpfter wahrgenommen wurde, bricht wieder auf. Was mittlerweile klar und auch an vielen Stellen sehr schmerzhaft ist: Die Gräben, die vorher schon da waren, sind in Krisenzeiten tiefer geworden.

Wo wir aber, und das gibt dann doch Hoffnung, zumindest schon einen großen Schritt weiter gekommen sind: Es gibt Blogs, Studien, Websiten, Berichte über Frauen und Corona. Es gibt erste Kampagnen und Bündnisse, die die geschlechterpolitische Perspektive der Krise zum Thema machen. Und es ist möglich, für die weitere Arbeit auf die vorliegenden und sich kontinuierlich weiter entwickelnden Informationen und Strukturen zurück zu greifen – genau wie auf Forderungen, von denen viele schon auf dem Tisch liegen.

Dazu gehören: Sorgearbeit aufwerten. Arbeitszeit reduzieren bei vollem Lohnausgleich. Ehegattensplitting abschaffen. Faire Löhne und bessere Arbeitsbedingungen schaffen. Corona-Zuschüsse so verteilen, dass sie bei denjenigen ankommen, die sie brauchen. Personalschlüssel in der Pflege, in Kitas, in Schulen und in der Geburtsmedizin erhöhen. Hebammen mitdenken. Gesetzlichen Anspruch auf Notbetreuung für Alleinerziehende schaffen. Gewaltschutz und entsprechende Mittel bereit stellen. Und letzten Endes eine systematische Überprüfung aller Maßnahmen und Gelder auf Geschlechtergerechtigkeit – also ein Gender Budgeting innerhalb und jenseits von Corona, das bisher kaum statt findet. Die Realität ist nicht geschlechtsneutral, hat Regina Frey es neulich formuliert – und die Krise ist es auch nicht.

In einem Jahr ist außerdem Bundestagswahl. Und wenn man in der Krise etwas Positives sehen möchte: In der Tatsache, dass momentan existenzielle Probleme sichtbar werden, liegt auch die Möglichkeit, diese Sichtbarkeit zu nutzen – und die Forderungen entsprechend zu kommunizieren.

Corona ist ein Ausnahmezustand für uns alle. Aber es ist einer, der so beharrlich ist, dass er die Lebenssituationen von Frauen jetzt schon massiv geprägt hat und weiter prägen wird. Ich hoffe, dass es möglich sein wird, trotz aller Not in der Krise auch Veränderungen zum Positiven anzuschieben.