Die Karlsruher Erklärung

Karlsruher Erklärung einstimmig verabschiedet
Verfassungsauftrag Gleichstellung - Taten zählen!

„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“.

24 Jahre nachdem Artikel 3 des Grundgesetzes um Absatz 2 ergänzt wurde, stellen wir fest, dass das Staatsziel Gleichstellung in vielen Punkten nicht erreicht ist. Wir benötigen zusätzliche Anstrengungen der Verantwortlichen auf Bundes- und Länderebenen sowie in den Kommunen und Kreisen der Länder um die strukturellen Benachteiligungen von Frauen abzubauen.

Faktencheck:

Politische Repräsentanz: Frauenanteil im aktuellen Deutschen Bundestag 30,9 % [1], in den Gemeindeparlamenten sogar nur durchschnittlich 25%[2]
Gewalt gegen Frauen: Mindestens 109.000 Frauen wurden (2016) Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Mehr als jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Gewalt Ihres Partners oder Expartners.[3]    Folgekosten von Gewalt an Frauen: mindestens 3,8 Mrd.€[4]

Löhne und Gehälter: Die Bruttostundenlöhne von Frauen in Deutschland liegen im Durchschnitt 21% niedriger als die der Männer.[5] Als Ursache werden neben unmittelbarer Diskriminierung vor allem niedrigere Einkommen bei Teilzeitarbeit und schlechte Verdienstmöglichkeiten in von Frauen dominierten Branchen angegeben. 2,93 Mio. Frauen haben ausschließlich einen Minijob[6]
Altersarmut: 58% der Menschen, die 2017 als Altersrentner*innen Grundsicherung nach dem SGB XII erhielten, sind weiblich.[7] Aufgrund hoher Teilzeitquoten, niedriger Verdienste und veränderter Lebensbiografien wird die Gesamtzahl von altersarmen Frauen weiter ansteigen. Fast einem Drittel alleinstehender Frauen droht bis zum Jahr 2036 die Altersarmut[8]

Besonders allein Erziehende sind schon jetzt von Armut betroffen,[9] ausgerechnet diese Gruppe ist steuerlich besonders benachteiligt.[10]

Unbezahlte Sorgearbeit: Frauen leisten 52% mehr Haus- und Pflegearbeit als Männer, d.h. anderthalbmal so viel.[11]
Führungspositionen: Mehr als zwei Drittel der Führungspositionen in den obersten Bundesbehörden sind mit Männern besetzt. .[12]  Von 437 Verwaltungsspitzen in den Landkreisen, Stadtkreisen und kreisfreien Städten sind 11,4 % mit Frauen besetzt.[13]
Digitale Zukunft: Die IT-Arbeitswelt ist männerdominiert. Die Gestaltung der digitalen Zukunft in allen Lebens-und Arbeitsbereichen hat bereits begonnen – überwiegend ohne Frauen: Nur 14% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Informatik sind weiblich.[14]Die Chancen mit einem ganzheitlichen geschlechtersensiblen Blick eine neue Arbeits- und Lebenswelt zu gestalten, werden zunehmend vertan.
Kommunale Gleichstellungsarbeit: Es fehlen einheitliche rechtliche und finanzielle Standards für kommunale Gleichstellungsarbeit. Eine bundesweit qualitativ gleichwertige geschlechtergerechte Daseinsvorsorge in den Kommunen ist nicht gewährleistet.[15]

Diese Fakten machen klar: Der Nachholbedarf für die Umsetzung des Staatsziels „Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ ist groß.

Taten zählen!

Nur eine gezielte konsequente und konsistente Gleichstellungspolitik auf allen staatlichen Ebenen kann hier Abhilfe schaffen. Die Verantwortlichkeit für Gleichstellungspolitik darf nicht im Mahlwerk der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen atomisiert werden. Die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten nehmen die Koalitionsparteien beim Wort. In ihrem Koalitionsvertrag ist festgelegt:

„Wir wollen noch vorhandene strukturelle Hemmnisse abbauen und werden dazu eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie entwickeln und mit einem Aktionsplan umsetzen.“[16]

Die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten fordern, dass ein Aktionsplan in der Querschnittsverantwortung aller Ressorts die Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen zum Nachteil von Frauen beendet. Schutz vor Gewalt und sexistischen Strukturen muss in allen Bereichen des Lebens und Arbeitens, von Gesellschaft und Politik gewährleistet werden. Dafür müssen tragfähige, aufeinander abgestimmte und nachhaltig wirksame Maßnahmen und Strukturen geschaffen werden. Bei den Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch muss in einem ersten Schritt das unzeitgemäße Werbeverbot des § 219a StGB abgeschafft werden. Weiterhin fordern wir die Abschaffung des § 218 StGB.

Die im Koalitionsvertrag angekündigte Bundesstiftung, die sich insbesondere Fragen der gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmen soll[17], ist ein vielversprechender Ansatz. Wir erwarten, dass die Bundesstiftung schnellstmöglich gegründet und mit auskömmlichen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet wird.

Auch bei der Umsetzung der Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention setzen wir auf zügige Erfolgsmeldungen. Besonders dringend sind die Prävention sowie die auskömmliche finanzielle Absicherung von Frauenhäusern und entsprechenden ambulanten Hilfe- und Betreuungsangeboten.

Die steuerliche Benachteiligung allein Erziehender muss beendet und Altersarmut vorgebeugt werden. Allein Erziehende und ihre Kinder brauchen deutlich mehr staatliche Unterstützung. Die steuerliche Bevorzugung von Ehen durch das Ehegattensplitting ist endlich abzuschaffen. Es ist weder zeitgemäß noch gerecht.

Die kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten befördern vor Ort die Umsetzung des Verfassungsauftrages „Gleichstellung“. Dafür brauchen sie Personalstellen, gut ausgestattete Büros und ein ausreichendes Budget. Bundesweite einheitliche Standards für kommunale Gleichstellungsarbeit sind eine notwendige Voraussetzung.

Verfassungsauftrag Gleichstellung! Endlich erfüllen! Taten zählen!

 

[1] Deutscher Bundestag

[2] Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft ,

[3] BKA, Kriminalstatistische Auswertung 2016

[4] Sylvia Sacco: Häusliche Gewalt Kostenstudie für Deutschland, tredition 2017

[5] Destatis 2017

[6] BA, 2017

[7] Destatis 2018

[8] Bertelsmann Stiftung, 2017

[9] Destatis 2017

[10] Bertelsmann Stiftung, Alleinerziehende unter Druck, 2014

[11] Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 2017

[12] Gleichstellungsindex 2017

[13] Eigene Erhebung der GFMK Stand Nov  2017 in: Gleichstellungsatlas BMFSFJ

[14] Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 30.06.2017

[15] BAG kommunaler Frauenbüros: Zur Situation der kommunalen Gleichstellungsstellen und Frauenbüros 2013

[16] Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land - Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode, Zeilen 939 ff

[17] ebenda, Zeilen 995 ff