Interview: Herausforderungen und Perspektiven für Gleichstellung in ländlichen Räumen

Im Rahmen der Veröffentlichung der BAG-Studie Gleichstellung als Regionalentwicklung – Zur Situation der kommunalen Gleichstellungsarbeit in ländlichen Räumen Deutschlands sprachen die Bundessprecherinnen Susanne Löb und Christina Runge mit Ursula Braunewell vom Deutschen LandFrauenverband, Josefine Paul vom Deutschen Frauenrat und Elke-Annette Schmidt vom Landesfrauenrat Mecklenburg-Vorpommern über Herausforderungen und Perspektiven für Gleichstellung in ländlichen Räumen.

Frauen* bildet Banden! Ländliche Räume brauchen gute Vernetzung, bessere Infrastruktur und mehr gleichstellungskompetente Entscheider*innen. 

Teilnehmerinnen:

Ursula Braunewell ist zweite Vizepräsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes und Landesvorsitzende des Landfrauenverbandes Rheinhessen. Die ausgebildete Industrie- und Außenhandelskauffrau und Miteigentümerin eines Weinguts ist seit 1981 Mitglied im LandFrauenverband.

Josefine Paul ist seit 2010 Abgeordnete des Wahlkreises Münster im Landtag Nordrhein-Westfalen für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Fraktionssprecherin u.a. für Frauen- und Queerpolitik sowie stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Seit März 2019 ist sie Vorstandsfrau und Leiterin des Fachausschusses Demokratie unter Druck – Krisenanalyse und Demokratie-Empowerment beim Deutschen Frauenrat.

Elke-Annette Schmidt ist Fachreferentin beim Landesfrauenrat Mecklenburg-Vorpommern mit Schwerpunkt Entwicklung der ländlichen Räume und leitet die Fachstelle EPLR zur Umsetzung des Querschnittsziels Gleichstellung im Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes.

Das Gespräch wurde moderiert von Susanne Löb und Christina Runge.

Veranstaltungstranscript

BAG: Frau Schmidt, Mecklenburg-Vorpommern ist das einzige Bundesland, das für die Umsetzung des Querschnittsziels Gleichstellung in der ländlichen Entwicklung eine eigene Fachstelle besitzt. Auf welcher Grundlage wurde diese Fachstelle eingerichtet?

Elke-Annette Schmidt: Bei uns in Mecklenburg-Vorpommern ist es schon immer etwas anders als anderswo. Wir haben tatsächlich so eine Fachstelle bei uns beim Landesfrauenrat angesiedelt, wobei ich aber sagen will: Fachstelle klingt sehr pompös. Die Fachstelle bin ich, mit 30 Stunden in der Woche. Das relativiert diese Fachstelle wieder ein bisschen. Aber nichtsdestotrotz gibt es sie und darüber sind wir als Landesfrauenrat auch sehr stolz und froh.

Entstanden ist sie, weil der Landesfrauenrat in Mecklenburg-Vorpommern Mitglied im Begleitausschuss für die EU-Strukturfonds ist. Das ist das Gremium, was über die Programmausgestaltung und die Rahmenbedingungen der Strukturfonds bestimmt. Und schon da hat der Landesfrauenrat frühzeitig darauf hingewirkt, dass auch ein relativ schwer mit Gleichstellung zu verbindender Strukturfonds wie der ELER, also der Entwicklungsfonds für die ländlichen Räume, mit Gleichstellungsthemen verbunden wird.

Das andere war, dass unser Sozial- und Gleichstellungsministerium mit dem Landwirtschaftsministerium gesprochen und darauf gedrängt hat, dass es eine solche Stelle für die ELER-Begleitung geben soll. Denn man ist der Meinung, es kann nicht sein, dass nur die Mittel aus dem europäischen Sozialfonds für die Gleichstellung eingesetzt werden, sondern dass auch die anderen Fonds hier in der Verantwortung stehen. Und wie auch in der Studie darauf hingewiesen wird: Wir haben diese so genannte ESI-Verordnung, also diese Dachverordnung über alle EU-Strukturfonds, und darin ist sehr deutlich beschrieben, dass Gleichstellung in allen drei Strukturfonds zu beachten und nicht nur zu beachten, sondern auch zu fördern ist. Nicht zuletzt wurde auch in der Ex-Post-Bewertung der vorangegangenen Förderperiode darauf hingewiesen, dass es eine solche externe Begleitung geben soll. Also man ist hier tatsächlich auch mal auf Evaluierung eingegangen, was ja auch nicht immer der Fall ist.

Und all das hat letztendlich das Landwirtschaftsministerium dazu bewogen, diese Fachstelle mit der Aufgabe der Begleitung des Entwicklungsprogramms aus Gleichstellungssicht auszuschreiben. Wir haben uns als Landesfrauenrat dann erfolgreich auf diese Ausschreibung beworben. Wir waren deshalb erfolgreich, weil wir uns in der vergangenen Zeit schon mit dem Thema Regionalentwicklung und Gleichstellung auseinandergesetzt haben. Also das, was die Studie als Ergebnis beschreibt, dass es hier einen sehr engen Zusammenhang gibt, das haben wir für Mecklenburg-Vorpommern schon in den Jahren 2013 bis 2015 sehr deutlich herausgearbeitet und dazu auch publiziert.

BAG: Warum ist die Fachstelle wichtig für die Förderung des ländlichen Raumes?

Elke-Annette Schmidt: Die Bedeutung dieser Fachstelle ist nicht hoch genug zu bewerten. Sie ist wichtig. Sie ist deshalb wichtig, weil – das was die Studie auch bestätigt – dieses Verknüpfen von Fachwissen in den Fachressorts mit Gleichstellungswissen ungeheuer schwierig ist. Ich will gar nicht sagen, dass die Menschen in den Verwaltungen das gar nicht wollen. Aber sie können ganz einfach diese Übersetzungsleistung oft nicht aufbringen, also diese Gleichstellungshandlungsansätze, die wir verfolgen, in ihren Fachbereich zu integrieren. Das ein Stück zu begleiten, das sehe ich als meine Hauptaufgabe. Und das ist schwierig. Es ist vor dem Hintergrund schwierig, dass auch ich mich in diese Facharbeit einarbeiten muss. Ich muss als fachkompetente Gesprächspartnerin den Referaten gegenüber stehen. Und das heißt, ich muss mich also sehr intensiv mit den Fördermaßnahmen und ihren Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Aber das zeigt auch Ergebnisse und das ist eigentlich das, was ich hier vermitteln will: es bringt etwas, so zu handeln.

Föderprogramme

BAG: Herzlichen Dank, das macht Mut. Frau Braunewell, auch die Landfrauenverbände sind vielseitig aktiv und häufig in LEADER-Gruppen und Beiräten vertreten. Aus unserer Studie geht hervor, dass sie für viele Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in ländlichen Räumen wichtige Kooperationspartnerinnen sind. Inwiefern sehen Sie die Landfrauen in der Verantwortung sich vor Ort noch stärker für frauenpolitische Themen einzusetzen?

Ursula Braunewell: LandFrauen sehen sich in der Verantwortung, sich zu vernetzen. Das wird bei uns in allen Landesverbänden groß geschrieben. Der LandFrauenverband ist eine große, tragende Gemeinschaft und wir leben davon, dass wir uns in den ländlichen Räumen gegenseitig stärken. Und natürlich ist es wichtig, von unserem Wissen gegenseitig zu profitieren.

Wenn ich noch mal auf die Begleitausschüsse zum ELER eingehen darf: Es ist besonders für Ehrenamtliche schwierig dort allumfassend mitarbeiten zu können. Wir Ehrenamtlichen haben nämlich schließlich zunächst einmal einen eigenen Job und erst dann freie Zeit für Ehrenamt. Uns fehlt häufig die Zeit, ganz aktiv und intensiv vorbereitet an solchen Begleitausschüssen teilzunehmen. Das sieht man auch an der grundsätzlichen Besetzung, die üblicherweise hauptamtlich ist. Mit einer guten Vernetzung unter Frauen gibt es in den Ausschüssen durchaus die Chance, gemeinsam den Gleichstellungsaspekt voranzubringen und auch mehr Frauen für gesellschaftspolitisches Engagement zu gewinnen. Dadurch, dass die Ausschüsse aber nicht gleichberechtigt besetzt sind, ist das natürlich eine große Herausforderung. Wir nehmen nicht fifty/fifty an den Ausschüssen teil, sondern sind ein, zwei, drei Frauen in solchen Ausschüssen - auch in LEADER-Aktionsgruppen. Und wenn wir dann über Gleichstellung und Frauenaspekte reden, ist es schon schwierig, das auch wirklich zu verkaufen.

Was in LEADER-Gruppen auch schwierig ist, ist die Ko-Finanzierung von Projekten, gerade von Frauenverbänden. Denn häufig fehlt Frauenverbänden und Frauen der finanzielle Rückhalt, auch uns als LandFrauenverbänden auf der Landesebene, solche Mittel bereitzustellen und Projekte wirklich im Sinne der Gleichstellung auf den Weg zu bringen. Nichtsdestotrotz haben wir junge LandFrauen-Gruppen, die wie Pilze aus dem Boden sprießen. Das freut uns sehr.

Gewaltschutz in ländlichen Räumen

BAG: Frau Paul, in ländlichen Räumen fehlen insbesondere im Bereich Gewaltschutz auch Beratungs- und Unterstützungsstrukturen. Die vorhandenen sind häufig schlecht erreichbar. Frau Braunewell hat gerade schon die mangelnde Finanzierung von Frauenstrukturen insgesamt angesprochen. Als Teil des Bündnis Istanbul-Konvention setzt sich der Deutsche Frauenrat für eine flächendeckende Versorgung ein. Was muss passieren, um diese zu gewährleisten?

Josefine Paul: Die Studie hat ja schon für die Struktur der Frauenbüros und Gleichstellungsstellen gezeigt: Flickenteppich ist ein Begriff, der sich glaube ich durch die gesamte Gleichstellungsarbeit zieht. Das ist für die Frauenhilfeinfrastruktur auch nicht anders. So wie es unterschiedliche gesetzliche Grundlagen für die Gleichstellungsarbeit gibt, so gibt es natürlich auch grundsätzlich vollkommen unterschiedlich Finanzierungsgrundlagen, was die Frauenhilfeinfrastruktur angeht. Das ist das Kernproblem.

Sie kennen das teilweise sicherlich aus sehr langer Erfahrung, wie lange es schon darum geht, eine bessere, einheitlichere Finanzierung der Frauenhilfeinfrastruktur hinzubekommen. Denn Frauenhilfeinfrastruktur, Beratungsstruktur, Frauenhäuser, Zufluchten sind ja nicht ‚nice to have‘. Sondern nicht zuletzt durch die Istanbul-Konvention eben eine staatliche Verpflichtung und das gilt für alle Ebenen. Das gilt für die Bundesebene, das gilt für die Landesebene und das gilt aber auch für die kommunale Ebene, weshalb es natürlich eine Verpflichtung ist, dass dort alle miteinander daran arbeiten, das auch umzusetzen.

Die Istanbul-Konvention ist jetzt in Kraft getreten. Das Bündnis, von dem der Deutsche Frauenrat neben zum Beispiel dem Deutschen Juristinnenbund, der ZIF (zentrale Informationsstelle Autonome Frauenhäuser), dem Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Notrufe und noch einigen anderen auch ein Teil ist, fordert konkret zum Beispiel eine staatliche Koordinierungsstelle. Denn eine wichtige Herausforderung besteht darin, dass wir nicht auch in den einzelnen Gewaltschutzplänen etc. einen Flickenteppich haben, sondern zu einer nationalen Gesamtstrategie kommen. Das kann man für die einzelnen Bundesländer je nach Größe machen - ich komme aus Nordrhein-Westfalen, das ist ein sehr großes Bundesland. Da wäre ich dafür, dass man auch noch einen Landesplan macht mit einer Landeskoordinierung. Aber es wäre erst einmal wichtig, eine staatliche Koordinierungsstelle zu haben und auch eine unabhängige Monitoringstelle. Denn es ist wichtig, dass wir darauf schauen, ob Gewaltschutzmaßnahmen, ob der Ausbau der Beratungshilfeinfrastruktur auch umgesetzt werden.

Das sind zentrale Forderungen, die noch nicht eingelöst sind. Und wenn man sich den Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte anschaut, gibt es auch noch weitere Themenbereiche innerhalb der Istanbul-Konvention, die noch ein Stück weit unterbelichtet sind. Zum einen ist zwar davon auszugehen, dass wir durchaus etwas haben, worauf wir aufbauen können. Einige Länder haben ja auch schon Landesaktionspläne. Aber es braucht auch nach wie vor eine bundesweite Strategie.

Sie alle wissen genau, wie schwierig es ist, was insgesamt die Platzsituation in Frauenhäusern angeht. Dass oftmals leider nicht ausreichend Plätze vorhanden sind. Aber auch die Frage von Barrierefreiheit und die Frage des Umgangs mit Kindern in Frauenhäusern wird durch das Deutsche Institut für Menschenrechte noch einmal sehr explizit thematisiert. Und da ist durchaus noch einiges zu tun. Wenn ich mir anschaue, dass in der BAG-Studie jetzt zu finden ist, dass oftmals die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten die einzigen frauenpolitischen, aber auch Frauenhilfe-Anlaufstellen im ländlichen Raum sind, dann ist insbesondere da noch einiges zu tun. Nicht nur, um einen Flickenteppich vereinheitlichen zu können, sondern vor allem um weiße Flecken endlich auch mit der nötigen Infrastruktur ausstatten zu können.

Gleichstellung als Querschnittsaufgabe

BAG: Vielen Dank Frau Paul. Eine weitere wichtige Erkenntnis der BAG-Studie ist, dass es in ländlichen Räumen ein geringes gesellschaftspolitisches Bewusstsein für Gleichstellung als Querschnittsaufgabe gibt. Frau Schmidt, wie werden Sie als Fachstelle von anderen Akteur*innen wahrgenommen? Ist es Ihnen gelungen, das gesellschaftspolitische Bewusstsein für Gleichstellungsthemen zu schärfen?

Elke-Annette Schmidt: Das ist eine ganz schwere Frage, zumindest der letzte Teil. Ich will mal damit anfangen, Gleichstellung ist Querschnittsaufgabe. Und ich hatte vorhin schon ein Stück weit darauf abgehoben zu sagen, wie schwierig das ist. Sie wissen selbst als Gleichstellungsbeauftragte, wenn irgendeine Anforderung an die Verwaltung kommt, wenn da nur irgendwo Frauen oder Gleichstellung auftaucht, dann landet das sofort auf Ihrem Tisch. Ohne, dass man in irgendeiner Form sich damit auseinandersetzt und vielleicht mal in andere Fachbereiche guckt, ob das dort auch eine Relevanz haben könnte. Und das ist natürlich etwas, was mir auch in meiner Arbeit begegnet. Also dieses Abschieben dieses Themas auf Sie als die entsprechenden Verantwortlichen. Oder dann auch auf mich zu gucken, wenn es um die Umsetzung im Entwicklungsprogramm für ländliche Räume geht. Und das ist es sicherlich nicht.

Das Ziel muss sein, dass eben diese Verwaltungsstrukturen in der Lage sind, auf bestimmte Dinge zu reagieren und diesen Gleichstellungsblick in ihr Verwaltungshandeln zu integrieren. Wie werde ich in dieser Arbeit wahrgenommen? Ich werde natürlich, das sage ich hier ganz offen, nicht eingeladen. Also ich muss mich schon sehr aktiv selber ins Gespräch bringen und die Türen aufmachen. Das ist glaube ich uns allen auch sehr geläufig, Ihnen wird es nicht anders gehen. Hier muss man also selber aktiv sein und versuchen Angebote zu machen. Angebote an diese Fachressorts, an die Verwaltungen, wie man das Gleichstellungsthema in ihre Facharbeit integrieren kann. Das erachte ich wirklich für ganz wichtig.

Und wenn einem das gelingt, dann wird das schon auch dankbar aufgenommen. Es wird auch versucht umzusetzen. Wir haben zum Beispiel Fact Sheets erarbeitet, Handreichungen, um die Arbeit zu erleichtern, sie hinzuweisen, wo gibt es die Ansatzpunkte, was kann man tun. Es gelingt natürlich nicht immer, aber es gelingt schon immer öfter. Und das finde ich bemerkenswert. Wir wissen alle, wir sind mit kleinen Erfolgen auch schon sehr zufrieden und müssen es sein. Also insofern, man muss offensiv auf die Strukturen zugehen, dann wird man wahrgenommen. Man wird auch zunehmend gerade in den LEADER-Gruppen, in denen ich sehr viel unterwegs bin, von den LEADER-Managements als Partnerin aufgenommen. Also wenn es da Fragen gibt, dann wendet man sich an mich. Das Material zur Zwischenevaluierung, was man da zur Verfügung gestellt hat von offizieller Stelle, hatte zum Beispiel zu Gleichstellung überhaupt keinen Ansatz. Dann habe ich eine Handreichung gemacht, die den Managements an die Hand gegeben und gesagt, bitte schaut hier drauf. Guckt, ob ihr das beachtet habt. Also so praktisch wie möglich Unterstützungsmaterialien zu erstellen, für Gespräche zur Verfügung zu stehen und eben auch die Nöte der Gegenseite aufzunehmen und ein Stück weit mit zu begreifen. Das ist ganz wichtig, denn wir sind alle keine Missionarinnen. Wir wollen, dass unser Thema begriffen und in die täglich Arbeit integriert wird. Und dafür ist auch gegenseitiges Verständnis nötig.

Ob das schon gelungen ist - also wie gesagt, in manchen Teilen sind wir schon ein Stückchen weitergekommen. Gerade im LEADER-Bereich, ich muss es noch einmal ganz deutlich sagen, bin ich sehr guten Mutes, dass wir hier auch in der neuen Förderperiode gut aufgestellt sein werden. In anderen Bereichen gibt es bestimmt noch viel zu tun. Aber wie ist eben auch so ein Programm wie Investitionsförderung im ländlichen Raum mit Gleichstellung zu verbinden. Da muss man schon sehr weite Kreise ziehen und das bedarf wirklich einer großen und langwierigen Arbeit, um hier das Thema von Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu integrieren. Aber es gelingt zunehmend.

BAG: Die Strukturschwäche vieler ländlicher Regionen prägt die Arbeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und sie ist mit ein Grund für den Verlust junger Menschen. Frau Braunewell, die Abwanderung vor allem junger Frauen ist auch für den deutschen LandFrauenverband ein Thema. Was braucht es aus Ihrer Sicht, um junge Frauen auf dem Land zu halten?

Frau Braunewell: Ja, das ist schon lange ein Thema bei uns. Schon 2013 haben wir das Thema bei uns im Fachausschuss bearbeitet. Wir haben die Frage gestellt: ‚Bleiben oder Wiederkehren?‘ und haben für uns festgestellt, dass gerade junge Frauen wesentlich mobiler sind als junge Männer. Das „Hotel Mama“ hat für Männer offensichtlich einen größeren Anreiz als für junge Frauen. Wir sind als Verband realistisch und verstehen, wenn man für eine gute solide Ausbildung erst mal den ländlichen Raum verlässt. Wichtig ist nur, dass man dann die Möglichkeit hat, auch wiederzukommen. Es braucht Rückkehrperspektiven. Wenn junge Frauen, junge Familien in ländliche Räume zurückkehren, dann wird es lebendig. Dafür braucht es aber eine Infrastruktur, die funktioniert und eine Daseinsvorsorge, die funktioniert. Menschen brauchen vernünftige Einkaufsmöglichkeiten, sie brauchen Ärzte in erreichbarer Nähe, sie brauchen Geburtsstationen. Das Thema der Schließung von Geburtsstationen und gynäkologischen Abteilungen in Krankenhäusern im ländlichen Raum ist gerade sehr akut. Ende September haben wir LandFrauen in Mainz mit dem Hebammenverband und Motherhood zusammen deswegen demonstriert. Neben den Geburtsstationen brauchen die Menschen im ländlichen Raum aber auch eine Kita mit ausreichend Plätzen, mit einer ausreichend langen Verweildauer. Sie brauchen Schulen, und zwar gerade im Grundschulbereich eben nicht nur halbtags Schule. Denn es ist oft so, dass sich Familien mit der Kita gerade arrangiert haben, im Dorf Fuß fassen und bei der Rückkehr in den Beruf dann vor dem Problem stehen, dass die Kinder um halb eins nach der Schule nach Hause kommen. Diese Betreuungslücke ist schwer zu schließen und wird dann oft dadurch gelöst, dass die Frauen halbtags arbeiten. Da gibt es viel nachzujustieren aus meiner Sicht.

Es braucht im ländlichen Raum außerdem öffentlichen Personennahverkehr, der funktioniert. Einer, der nicht nur in Schulzeiten fährt, sondern auch außerhalb der Schulzeiten. Viele junge Familien, die wieder aufs Land ziehen, haben zwei Autos. Die zwei Autos sind notwendig, wenn es keinen guten ÖPNV gibt und die Wegeketten im Alltag grade für die Frauen, die für ein Mehr an Abholdiensten zuständig sind, oft lang.

Ich gehe auch davon aus, dass mit Breitband  vieles einfacher wäre. Damit wäre Telearbeit möglich, wo ich von zu Hause aus qualifizierten Jobs nachgehen kann. Wir haben als Deutscher LandFrauenverband ein Projekt zur Stärkung von Existenzgründung im ländlichen Raum. Das ist eine schwierige Frage, denn es ist überall auffällig, dass weniger gegründet wird im ländlichen Raum und besonders wenig von Frauen. Aber die Förderpolitik unterliegt ja auch dem Gleichstellungsgrundsatz und in ländlichen Räumen ist da noch viel Potential, um das wirklich auszuschöpfen. Das würden wir uns wünschen, denn Frauen gründen anders. Hier sitzen so viele Gleichstellungsbeauftragte, ich muss Ihnen das nicht erzählen. Frauen gründen einfach kleiner, vorsichtiger, sorgsamer und sind unterhalb von Förderschwellen, wenn es dann um Mittel geht. Und Frauen haben noch oft das Problem, dass ihre Banken ihnen sagen: ‚Wären Sie mal ein Mann, wären das ja Peanuts.‘

Diese Liste lässt sich weiter fortsetzen. Aber das sind die Dinge, die ganz wichtig sind, um eine Willkommenskultur für Rückkehrerinnen zu etablieren. Wir müssen den Kontakt zu jungen Frauen oder jungen Menschen halten, die zu Ausbildungszeiten weg gehen. Ich glaube, dass es einen großen Unterschied macht, wenn man zurückkommt und weiß, ich bin da und werde auch nach wie vor gekannt und geschätzt und die freuen sich, wenn ich wieder hier bin.

BAG: Frau Paul, Frauen sind gerade in ländlichen Räumen in den Kommunalparlamenten nur wenig bis gar nicht vertreten. Der Deutsche Frauenrat hat vor kurzem eine Kampagne für die paritätische Besetzung von Parlamenten gestartet. Wo sehen Sie die wichtigsten Stellschrauben, um politische Partizipation von Frauen zu fördern?

Frau Paul: Das ist ja etwas, was sich leider über alle politischen Ebenen so durchzieht. Das ist nicht nur auf der Ebene des Bundestages so, das ist in den Landtagen so, das ist auf der kommunalen Ebene so. Und wenn man sich anschaut, wie es bei den Führungspositionen aussieht – nur ungefähr 10% der Bürgermeisterinnen in diesem Land sind weiblich. Bei den Landrätinnen und Landräten sieht es noch trauriger aus. Da sieht man einfach es ist noch eine Menge Luft nach oben.

Und das hat natürlich zum einen auch etwas mit politischer Kultur zu tun. Politik ist ein Feld, das von Männern für Männer gemacht worden ist. Das ist nach wie vor so, weil Sitzungszeiten - das muss ich Ihnen nicht erzählen - sind gerne so gemacht, dass sie sich gut noch hinter männliche Erwerbsbiografien schieben lassen. Aber eben nichts mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf, von Familie und Ehrenamt und Beruf oder vielleicht auch einfach den eigenen Erfordernissen zu tun haben. Und auch die Frage wann und wie lange Sitzungen dauern müssen. Der Wert einer Sitzung bemisst sich ja gerne daran, wie lange sie dauert. Das ist etwas, was nicht zwingend zur Qualität einer Sitzung beitragen muss. Die Frage einer stringenteren Redeleitung könnte die Sache vielleicht auch abkürzen. In meiner Fraktion haben wir irgendwann gesagt, wir nehmen jetzt einfach große Sanduhren. Dann kann jeder und jede ganz transparent sehen, wie lange hier jetzt geredet wird und wenn die Sanduhr abgelaufen ist, dann ist eben auch Schluss. Damit man einfach mal die Argumente, die man hat, tatsächlich ein bisschen flotter vorträgt.

Aber am Ende des Tages müssen wir uns natürlich darüber unterhalten, ob es gesetzliche Vorgaben braucht, um diesem Problem irgendwie Herr oder in diesem Fall eher Frau zu werden. Weil wir jetzt seit wahrscheinlich ungefähr 100 Jahren über die Frage reden, wie Frauen und Männer gleichberechtigt an politischen Prozessen teilhaben können. Und wir sehen, dass die Entwicklung nicht nur stagniert, sondern offensichtlich im Moment rückläufig zu sein scheint. Und das ist etwas, wo genügend Frauen aus dem frauenpolitischen Kontext, aber auch aus dem gesamten Verbändekontext sagen: ‚Jetzt ist auch mal gut gewesen, lasst uns doch mal über gesetzliche Rahmenbedingungen nachdenken.‘

Ich finde wichtig, dass das auch etwas ist, das sozusagen breit zivilgesellschaftlich getragen wird. Weil es nur dann funktionieren wird, dass wir da einen höheren politischen Druck aufbauen können, wenn es auch ein höherer gesellschaftlicher Druck ist. Wenn einfach noch einmal sehr deutlich gemacht wird, dass es auf die politischen Entscheidungen Auswirkungen hat, wenn über die Hälfte der Bevölkerung nicht an politischen Entscheidungen beteiligt wird. Eben zum Beispiel auch in der Frage der Entwicklung des ländlichen Raumes. Wenn Frauen nicht beteiligt sind an den politischen Prozessen, dann werden viele Fragestellungen von denen Frauen sehr viel mehr betroffen sind als Männer schlicht und ergreifend in den Debatten nicht gesehen und sie werden in den Entscheidungen nicht berücksichtigt. Also ist es richtig, dass es hier eine breite gesellschaftlich aufgestellte Debatte geben muss und auch breiten gesellschaftlichen Druck.

BAG: Inwiefern könnte das auch dem zunehmenden Druck von rechts entgegen wirken?

Was die Frage des Rechtsrucks angeht, Frau Staatsekretärin hat ja vorhin das Beispiel eines Gesetzentwurfes gebracht, der im Grunde genommen die Gleichstellungsarbeit im Ganzen in Frage stellt. Das ist leider etwas, womit wir uns jetzt in den politischen Gremien auseinandersetzen müssen. Leider flächendeckend, die AfD ist in jedem Landtag vertreten, ist im Bundestag vertreten, ist in sehr vielen Kommunalparlamenten vertreten. Teilweise sind noch rechtere Gruppierungen, falls da überhaupt noch eine so große Unterscheidung festzustellen ist, in Kommunalparlamenten vertreten.

Und die Studie der BAG gemeinsam mit der Amadeu-Antonio-Stiftung hat ja sehr deutlich gemacht, dass auch Gleichstellungsarbeit dadurch unter Druck gerät. Durch Anfragen, durch Infragestellung der Arbeit, durch Infragestellung der finanziellen Mittel oder gar in den Landesparlamenten und im Bundesparlament durch die Infragestellung gesetzlicher Grundlagen. Das ist etwas, dem wir uns werden weiter entgegenstellen müssen. Auch da braucht es einen ganz engen Schulterschluss, denn dieses Phänomen wird leider nicht von alleine verschwinden. Sondern wir werden sie auch mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie zurückdrängen müssen. Denn im Grunde genommen versuchen sie gerade uns auszukontern mit dem, was überhaupt diese Schmutzkampagne möglich macht. Nämlich mit demokratischen Mitteln, mit Meinungsfreiheit, um da ganz klar Meinung zu machen.

Dem müssen wir uns klar entgegen stellen und deswegen ist auch mein Plädoyer, bei aller Frage von Querschnittsarbeit, trotzdem immer darauf zu beharren, dass es auch eigene Frauenstrukturen braucht, dass es auch eigene Frauenlobbyarbeit braucht, weil wir eben nur an der Stelle gemeinsam stark sind und gemeinsam die Argumente noch mal sehr viel deutlicher nach vorne tragen können, auch gegen Rechtspopulismus.

Frau Schmidt: Ich habe eine Ergänzung zu dieser Frage, weil ich selbst als Kreistagsmitglied in dem größten Landkreis Deutschlands ja auch betroffen bin. Mecklenburgische Seenplatte ist der größte Landkreis, also flächenmäßig größer als das Saarland. Also diese großen Strukturen, das ist auch etwas, das Frauen nicht wollen und auch nicht leisten können. Das ist mit so viel Fahraufwand zu den Veranstaltungsorten verbunden, dass das für viele gar nicht leistbar ist. Also auch diese Strukturen, diese großen Strukturen, die man gerade schafft, sind sehr hinderlich für Frauen auf der kommunalen Ebene.

BAG: Vielen Dank. Wir haben noch eine Abschlussfrage an Sie. Die Studie listet Handlungsansätze auf verschiedenen Ebenen, um Gleichstellung in ländlichen Räumen zu stärken. In maximal drei Worten, eine echte Herausforderung, was brauchen ländliche Räume ihrer Meinung nach am dringendsten, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen?

Frau Braunewell: Ich denke, engagierte Frauen, eine gute Vernetzung untereinander und eine Förderpolitik, die ländliche Räume mit ihrer Infrastruktur nicht allein lässt.

Frau Paul: Die Stärkung auch sozialer Räume, wo Frauen tatsächlich zusammen kommen können. Die Stärkung der Frauenhilfeinfrastruktur und nicht zuletzt finde ich immer wichtig: Frauen bildet Banden. Netzwerke, Netzwerke, Netzwerke.

Frau Schmidt: Ich halte mich an die drei Worte: Mehr gleichstellungskompetente Entscheider*innen - mit Sternchen.

BAG: Vielen herzlichen Dank für die interessanten Einblicke ins Thema, die sicherlich auf die eine oder andere Art für die Weiterarbeit an diesem Thema inspirierend sein werden. Wir als Gleichstellungsbeauftragte und Sprecherinnen der BAG werden auch in der nächsten Zeit das Thema Gleichstellungsarbeit in ländlichen Räumen weiterbearbeiten. Denn nach wie vor gilt es beides voranzubringen. Und sie können sicher sein, wir bleiben dran.