Instrumentalisierung feministischer Anliegen durch Rechtspopulist*innen- Angelina Uhl

Instrumentalisierung feministischer Anliegen durch Rechtspopulist*innen am Beispiel der 120 Dezibel Kampagne
 
Mehrere Aktivist*innen initiierten Ende Januar 2018 die Kampagne 120 Dezibel. Der Name dieser „Frauenrechts-Kampagne“ geht auf die Lautstärke eines Taschenalarms zurück, den Frauen anscheinend zu ihrem Schutz tragen. Sie thematisieren Gewalt gegen Frauen durch „Migranten“, indem sie dazu aufrufen, Erfahrungen mit (sexualisierter) Belästigung und Gewalt unter dem Hashtag #120db zu teilen. Es wird von sogenannter Ausländerkriminalität von Männern afrikanischer Herkunft oder von Menschen aus muslimisch geprägten Regionen gesprochen. #120db geht auf Martin Sellner, den Gründer und Sprecher der Identitären in Österreich zurück.
 
Bei der Darstellung der #120db-Kampagne verzichtet dieser Artikel im Folgenden ausdrücklich auf die Selbstbezeichnung Identitäre Bewegung, da diese nicht der tatsächlichen geringen Reichweite entspricht. Die Identitären fordern auf der Basis des Ethnopluralismus eine ethnisch und kulturell homogene staatliche und gesellschaftliche Ordnung. Sie vertreten den „Großen Austausch“, der aus verschwörungstheoretischer Sicht einen Austausch der „weißen“ Mehrheitsbevölkerungen durch muslimische oder „nicht-weiße“ Personen annimmt.
 
Die Besonderheit der Identitären ist deren Öffentlichkeitsauftritt. Im Gegensatz zu anderen Rechtsextremen zeigen sie sich jung und dynamisch. Es wird eine Art Lifestyle transportiert, der durch popkulturelle Zusammenhänge ein niedrigschwelliges Mobilisierungs- und Aktionspotential verfügt und als Identifikationsobjekt vor allem für junge Menschen fungiert. Dieses vordergründig moderne, gewaltfreie und harmlose Auftreten ist zwar langfristig nicht erfüllbar, aber Popkultur, Jugendlichkeit, Aktionismus und Corporate Identity sind gleichzeitig erstmal ihr größter Anreiz. Das Frauenbild der Identitären entspricht einer konservativen hegemonialen, heteronormativen Auffassung. So spricht Sellner beispielsweise von einer generellen weiblichen Emotionalität und folgert daraus eine politische Unfähigkeit.
 
#120db tritt schwerpunktmäßig in Social-Media-Kanälen auf und besteht zum großen Teil aus Aktivist*innen der Identitären. Ihr Kampagnenfilm beinhaltet zahlreiche sprachlich-rhetorische Mittel. Die auffällige Pronominalstruktur konstruiert eine Abgrenzung von „Wir“ und „Die“. „Die“ stellen sowohl „Geflüchtete und Migranten“ dar als auch die vermeintlich verantwortlichen Instanzen für „importierte Gewalt“. Das „Wir“ soll an Opfer erinnern und einen Ausweg aus „dieser Situation“ schaffen. Das Video wird von einem epischen Musikstück begleitet, dessen Dynamik und Instrumente an theatralische Filmmusik erinnert. Die Vorstellung der nationalistischen Identifizierung und Solidarisierung geht in einen chauvinistischen Gedanken über, wenn von der unbedingten Notwendigkeit der Grenzkontrolle und -sicherheit gesprochen wird.
 
Um eine Ablehnung von Migrant*innen zu legitimieren, werden Werte wie Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter „europäisch“ bezeichnet. Dieser femonationalistische Prozess bezeichnet nach der Soziologin Sara Farris die scheinbare Unmöglichkeit von Migranten, die Rechte

 von Frauen zu respektieren, woraus eine Unvereinbarkeit von verschiedenen kulturellen Lebensweisen begründet wird.
 
So wird mit „eigenen“ Errungenschaften, wie der angeblichen juristischen Geschlechtergerechtigkeit nicht nur gegen „den Islam“ und „Fremde“ als „unzivilisierte“, „hypersexuelle“ Gruppen, ja sogar Nationalitäten, argumentiert, sondern auch gegen LGBTIQ*-Personen, geschlechtsneutrale Feminismen und deren Infragestellung heteronormativer Normen. Die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze beschreibt Ethnosexismus als Kulturalisierung von Geschlecht, die kulturell „andere“ aufgrund ihrer anscheinend besonderen oder „rückständigen“ Auffassung von Geschlechter- und Sexualordnungen diskriminiert. Für #120db fungiert dies als Legimitation von negativen Äußerungen gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen. Zum einen kann das ethnosexistische Argumentationsmuster als eine weitere Basis in der polemisch rassistischen Befeuerung des Einwanderungsdiskurses gesehen werden. Zum anderen ist eine Kampagne wie diese ein Beleg dafür, wieviel Macht Sexismus auf alltäglicher Ebene einnimmt, dessen Sensibilität rassistische, xenophobe und ethnozentristische Konstruktionen nicht hinterfragt und aufbricht, sondern glaubwürdig erscheinen lässt.
 
#120db ist eine strategische Mobilisierungsmaßnahme der Identitären zur Idealisierung und Realisierung ihrer rechtsextremistischen Ideologien. Neben der grotesken Situation als Antifeminist*innen für Feminismus zu plädieren, entstehen weitere Widersprüchlichkeiten. Zum einen ist die Zuschreibung von gewalttätigen Stereotypen auf Migranten nicht wahrheitsgemäß denn tatsächlich findet sexualisierte Gewalt in Deutschland vor allem im häuslichen und familiären Umfeld statt. Zum anderen zeigt sich eine Paradoxie, wenn einerseits die anscheinend längst etablierte Geschlechtergerechtigkeit im Westen im Gegensatz zur islamischen Welt positivistisch beschrieben wird, und andererseits (politische) Gleichstellungsmaßnahmen und -arbeit angegriffen werden. Hinzugefügt werden kann, dass die Selbstinszenierung der Anhänger*innen von #120db als vermeintliche Tabubrecher*innen, indem eine enorme Dringlichkeit des Ansprechens von „importierter Gewalt“ vermittelt wird, nicht funktioniert, da Verbrechen (gegen Frauen) von als migrantisch charakterisierten Täterschaften in medialen Berichterstattungen keineswegs unterrepräsentiert sind.
 
Letztlich bleibt der Einsatz von Frauenrechten und Gleichberechtigung als Mittel für rechtspopulistische Zwecke zwar eine Instrumentalisierung, allerdings darf angesichts dessen eine selbstkritische Beschäftigung mit Rassismus, Sexismus und Antifeminismus nicht ausbleiben. Leicht entsteht eine argumentative Zwickmühle, wenn sexualisierte Übergriffe „kulturell“ differenziert betrachtet werden. Das Autor*innenkollektiv Feministische Intervention beispielsweise regt zu einem Feminismus an, der patriarchale Strukturen kulturunabhängig hinterfragt.